
Als sie die Ergotherapiepraxis betreten hatten, war dort niemand zu sehen, nur ein nussfarbener höhenverstellbarer Schreibtisch mit einem ergonomischen Schreibtischstuhl. Rechts daneben befand sich ein Flur, der zu drei Räumen führte. Wenn man geradeaus ging, gelangte man in das Wartezimmer, wo momentan eine Mutter mit ihrem dreijährigen Sohn wartete. Bei den beiden anderen Räumen handelte es sich um Behandlungsräume, die sich gegenüber lagen.
Nach kurzer Zeit öffnete ein Mann namens Philon die Tür des linken Behandlungsraums, verließ ihn und kam den Flur entlang auf die Zwillinge zu, die rechts neben dem Schreibtisch standen.
Sofort sagte Philon: „Ich habe euch erwartet.“ Die Zwillingen schauten verdattert: „Ihr kennt uns?“ „Kennen wäre zu viel gesagt. Dionysos war heute morgen hier und hat mir erzählt, dass mich heute Nachmittag Zwillinge namens Marian und Gregorian besuchen werden. Er verschwieg aber, was ihr von mir wollt.“
Marian fing an: „Wir wollten Euch fragen, ob Ihr Henny Stenegall kennt“ „ Ihr könnt ruhig Philon zu mir sagen. Ihr fragt mich ernsthaft nach Henny Stenegall. Wow! Ich habe ihn*sie schon lange nicht mehr gesehen. Was ist denn der Anlass, warum ihr etwas über Henny wissen wollt?“
Gregorian entgegnete: „Wir haben ihn tot auf der anderen Rheinseite gefunden.“ Philons Reaktion darauf fiel etwas eigentümlich aus. Ihn wunderte das überhaupt nicht: „ Dann hat er*sie sich wahrscheinlich selbst getötet. Ihr kennt Henny gar nicht. Liege ich da richtig? “
Marian antwortete: „ Genau. Ampelos hat uns allerdings gesagt, dass wir dich nach Henny fragen sollen.“ „Also gut, Henny Stenegall ist eine nichtbinäre Person, der bei ihrer Geburt das Geschlecht männlich zugewiesen wurde. Henny hat einen Bruder namens Archimedes Pellington.“
Marian und Gregorian standen erschrocken und fassungslos da: „Das ist unser Herr Papa“ „Ach du liebe Zeit, dann seid ihr meine Halbbrüder!“ Das wurde ja immer besser. Marian und Gregorian waren völlig entgeistert. Gregorian rang nach Worten: „Du…bist…unser…Halbbruder. Wir wussten gar nicht, dass unser Herr Papa noch einen Sohn hat.“
„Ich habe auch noch eine Schwester namens Anna, also habt ihr auch noch eine Halbschwester. Anna hat mir eines Tages erzählt, dass sie herausgefunden hat, dass unser Herr Papa noch zwei Söhne und eine Frau hat.“ Marian stellte fest: „Frau Mama und Herr Papa haben nie geheiratet. Dann lag das wohl daran, dass er schon mit deiner Frau Mama verheiratet war.“ Philon entgegnete: „So ist es. Archimedes war bereits mit Mariella verheiratet.
Also gut, wo fang ich jetzt an? …Wisst ihr beide etwas über die Eltern von Herrn Papa?“ Die Zwillinge nickten und Gregorian erwiderte: „Sie sind gestorben, als Herr Papa 19 war. Das ist also jetzt schon 37 Jahre her.“ Philon erzählte weiter: „ Henny war beim Tod seiner Eltern 14 Jahre alt. Archimedes und Henny waren also seit dem Tod ihrer Eltern auf sich alleine gestellt. Sie meisterten das aber sehr gut. Henny sah sich auch noch als männlich. Er sagte auch immer, dass er Archimedes’ jüngerer Bruder sei.
Doch mit der Zeit veränderte Henny sich. Auf jeden Fall sah er nicht mehr eindeutig männlich aus, wenn man das so sagen kann. Archimedes konnte damit überhaupt nicht umgehen und war außer sich. Mehr als einmal platzte ihm der Kragen und er brüllte herum, dass sich Henny nicht so weiblich benehmen und gefälligst eindeutige männliche Kleidung tragen solle.
Als Henny dann einiges Tag am Mittagstisch verkündete, dass er jetzt eine nichtbinäre Person sei, schrie Archimedes Henny an: Raus! Du verlässt sofort unsere gemeinsame Wohnung! Und lass dich nie wieder hier blicken! Nichtbinäre Person, hat man schon mal so einen Schwachsinn gehört! Dir hat man wohl ins Gehirn gesch… .Wenn du überhaupt ein funktionierendes Gehirn hast! Lass dir eines noch gesagt sein: Achte gefälligst darauf, dass unsere beiden Namen niemals mehr irgendwo zusammen auftauchen! Geschwister sind wir von nun an nicht mehr. Gestorben bist du für mich!“ „ Herr Papa war ja richtig unverschämt sauer. Aber das kennen wir ja“, sagte Gregorian.
Philon fuhr fort: „Henny stand sofort auf, packte seine Sachen und verließ die Wohnung. Henny war damals 20 Jahre alt. Unser Herr Papa hat ein Jahr später – er war 25 – Frau Mama kennengelernt und wieder zwei Jahre später sind sie zusammengezogen. Ein Jahr später haben sie geheiratet. Als sie beide 30 waren, kam ich auf die Welt. Zwei Jahre später folgte Anna.“
„Hat Herr Papa mit dir über Henny geredet? Oder woher weißt du von Henny?“, fragte Marian . „Frau Mama hatte einen Bruder Ludwig, der genauso alt war wie Henny. Nach dem Rauswurf ist Henny bei ihm eingezogen. Aus der Freundschaft der beiden wurde eine Liebesbeziehung.
Da Frau Mama regelmäßig Ludwig und somit auch Henny besuchte, wusste sie, dass Herr Papa einen Bruder*Schwester hatte, den*die er allerdings verschwieg. Frau Mama nahm Anna und mich mit zu ihrem Bruder und so lernte ich Henny auch kennen. Frau Mama entschuldigte sich bei Henny für das Verhalten von Herrn Papa. Sie teile seine Ansichten keineswegs. “
„Du hast gesagt, dass Mariella einen Bruder hatte. Lebt Ludwig nicht mehr?“, hackte Marian nach. „ Jetzt wird es sehr hart. Eines Tages gab Henny Mariella für Archimedes einen Brief mit. Sie überreichte ihm den Brief mit den Worten, dass er von Henny sei. Wir können froh sein, dass Herr Papa ihn nicht direkt zerrissen hat. Er nahm ihn an sich, las ihn aber nicht, sondern legte ihn auf den Küchentisch.
Dass Henny keine Antwort von Archimedes erhielt, ärgerte Ludwig sehr, sodass er sich vier Wochen, nachdem Herr Papa Hennys Brief erhalten hat, dazu entschied, Archimedes einen Besuch abzustatten. Herr Papa war allein zu Hause, zumindest dachte er das. Ludwig klingelte an der Tür und grüßte Archimedes ganz freundlich. Archimedes bat Mariellas Bruder ebenso freundlich hinein.
Beide setzten sich ins Wohnzimmer und sofort fing Ludwig vor Zorn völlig außer sich laut zu reden: „ Archimedes, dir ist schon bewusst, dass du noch Verwandtschaft hast. Henny. Klingelt da irgendetwas bei dir? Du bist der Bruder von Henny. Ich bin der Lebenspartner von Henny. Auch diese Tatsache ist bis zu dir durchgedrungen.“
Archimedes war direkt auf 180 und brüllte Ludwig an: „Wenn du nicht sofort still bist, dann vergesse ich mich. Es kann dann Gott weiß was passieren. Also verlaß jetzt besser auf schnellstem Wege mein Haus!“ „Das werde ich mich Sicherheit nicht tun, bevor du nicht Hennys Brief gelesen hast! „Wenn du noch ein einziges Mal diesen Namen in meinem Haus erwähnst, kannst du was erleben!“
Gregorian unterbrach Philon: „Das ging aber wieder heiß her!“ Philon erwiderte: „Ja, das kannst du laut sagen! Herr Papa verlor komplett die Beherrschung. Plötzlich, nachdem sich die beiden alle möglichen Schimpfwörter an den Kopf geworfen hatten, griff Archimedes nach dem nächstbestem Gegenstand, ein leere Blumenvase im Wohnzimmerregal und warf sie in Richtung Ludwig. Die Vase traf Ludwig am Kopf und er fiel zu Boden. Tot war er.
Marian und Gregorian wurden ganz still. Ihr Vater rastete ziemlich schnell aus. Das war ihnen hinlänglich bekannt. Er verletzte einen oft mit Worten, aber, dass er jemanden umbringt! Philon bemerkte die Fassungslosigkeit der Zwillinge und meinte: „Unser Herr Papa wurde aber, wie ich bereits angedeutet habe, beobachtet und Zeugen sind für einen Täter immer schlecht…