Benediktiner, auch „schwarze Mönche“ genannt, sind nicht vergessen. Im Gegensatz zu manchen anderen religiösen Gemeinschaften sind sie auch dort noch im öffentlichen Bewusstsein präsent, wo christliche Prägungen verblassen. Sie zählen wie viele andere religiöse Gemeinschaften zur großen Gruppe der Religiosen – Frauen und Männern, deren zentrales Lebensmotiv die Gottsuche darstellt. Dabei orientieren sie sich in besonderer Weise an der für das Christentum insgesamt prägenden Differenzierung zwischen den für alle geltenden Geboten und den darüber hinausgehenden „evangelischen Räten“, den consilia evangelica von Armut, Keuschheit und Gehorsam. Nach diesen zu leben hieß und heißt, den Weg zur Vollkommenheit zu begehen, wobei allerdings immer unbestimmt bleibt, wie arm, wie keusch oder wie gehorsam man zu sein hat, um tatsächlich den Lehren Christi zu folgen .
Auch wenn die Benediktiner nicht vergessen sind, stellt sich trotzdem die Frage, wer mit dieser Bezeichnung überhaupt gemeint ist. In einem engeren Sinne werden mit diesem Ausdruck all jene Frauen und Männer angesprochen, die einer derjenigen Gemeinschaft angehören, die in der Benediktinischen Konföderation verbunden sind. In einem umfassenderen Sinne bezeichnet Benediktiner all jene Frauen und Männer, die ein Leben nach der Regel Benedikts führen (Breitenstein 2019).
Dieser besagte Benedikt ist zwischen 480 und 490 in Nursia, dem heutigen Norcia (Umbrien) geboren und führt als junger Asket zunächst über mehrere Jahre ein eremitisch-anachoretisches Leben mit einigen Gesinnungsgenossen in Subiaco. Dann begibt er sich nach Süden und gründet gegen 529/530 die Gemeinschaft auf dem Berg bei Cassino (Montecassino I). Zeitlebens diese Vereinigung nicht mehr verlassen, verstirbt Benedikt dort vermutlich zwischen 555 und 560. Es wird angenommen, dass er gegen Ende seines Lebens (nach 530) für diese Gemeinschaft seine Regel verfasst (oder diktiert).
Nach Benedikts Tod ist das Gemeinschaftsleben in Montecassino dann zunächst allerdings nur von kurzer Dauer. Wie man in den historia langobardorum (795/96) von Paulus Diaconus vernimmt, müssen die Mönche vermutlich 577 vor den Langobarden unter Herzog Zotto fliehen. Für die Klosteranlage hat dies den Zerfall zur Folge, während sich die Gemeinschaft – u.a. zusammen mit ihrer Regel – nach Rom in die Nähe des Papstes, in den Lateran flüchtete. Auf diese Weise gerät vermutlich die mitgeführte Regel in die päpstliche Bibliothek im Lateran. Ob die Flüchtlinge zunächst als geschlossene Gemeinschaft im Lateran ihr asketisches Leben weiter praktizieren oder sie sich bald in unterschiedliche Gemeinschaften der Stadt aufteilen, bleibt unklar. Der Berg bei Cassino jedenfalls liegt von da an für mehr als 100 Jahre wüst (Jenal 2019).
Wird folglich Benediktiner in einem umfassenderen Verständnis zugrunde gelegt, reicht ihre Geschichte bis ins 6.Jahrhundert zurück. Nur wenige Institutionen können auf eine Geschichte zurückblicken, welche anderthalb Jahrtausende andauert. Für eine Vereinigung, welche auf der Anerkennung gemeinsamer Normen, Werte und Leitideen gründet, stellt dies eine beachtlich lange Zeitspanne dar. Eine derartige Geschichte umfasst stets konkrete Wandlungsprozesse in allen gesellschaftlichen Bereichen: nicht nur Religion, sondern auch Politik, Wirtschaft und Kultur. Für die Benediktiner erstrecken sie sich von lokalen Anfängen unter den Bedingungen der untergehenden römischen Kultur im italischen Raum des 6.Jahrhunderts bis zu einer – wenn auch bescheidenen – globalen Präsenz unter ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Vorzeichen und in vielgestaltigen kulturellen Milieus heute. Deshalb kommt schon die Frage auf, was denn die Benediktiner des Anfangs mit jenen der Gegenwart verbindet.
Die Herausforderung, im geschichtlichen Vergleich etwas Verbindendes auszumachen, stellte und stellt sich nicht nur für historisch Interessierte, sondern ebenfalls für jene, welche sich selbst als Benediktinerinnen und Benediktiner bezeichnen und begreifen. Nie haben sie sich im strikten Sinne als Orden organisiert, und doch gibt es Orden innerhalb ihrer großen Gemeinschaft: Zisterzienser, Vallombrosaner oder Silvestriner sind nur drei von vielen. Benediktiner teilen also auch nicht immer unbedingt denselben Namen. Dies ist nur der Fall, wenn der weitere Begriff verwendet wird, demzufolge „benediktinisch“ schlicht für ein Leben nach der Benediktsregel steht. Wenn nun „benediktinisch“ bedeutet, eine gemeinsame Regel zu befolgen, dann besteht auch das alles verbindende Ziel in der gemeinsamen Ausrichtung des Lebens an dieser Regel. Das Wort „Benediktiner“ selbst taucht jedoch nicht vor dem 13.Jahrhundert auf. Stattdessen wird allgemein von Mönchen gesprochen und unterscheidet allein die Farbe ihres Gewands: schwarz sind die „alten“, die traditionellen, weiß die „neuen“ Benediktiner wie Zisterzienser und Olivetaner.
Die benediktinische Geschichte stellt ein beredtes Zeugnis der Fähigkeit dar, sich immer aufs Neue und mit hoher Flexibilität an veränderte Umstände anzupassen und historische Herausforderungen anzunehmen und sich dabei doch in großer Festigkeit an der Regel als unhintergehbarer Leitidee auszurichten. Die Bereitschaft von Benediktinerinnen und Benediktinern, bei der Verwirklichung ihres ebenso spirituellen wie pragmatischen Basistextes immer wieder neue Wege zu gehen, stellt sich als Schlüssel ihres Erfolgs heraus. Die Fülle der im Laufe der Zeit entwickelten Lebensformen drückt somit keine organisatorische Schwäche aus, sondern dabei handelt es sich vielmehr um die Voraussetzung der dauerhaften Tragkraft einer Idee (Breitenstein 2019).
Quellen
Breitenstein, Mirko (2019), Die Benediktiner. Geschichte, Lebensformen, Spiritualität, München.
Jenal, Georg (2019), Sub Regula S. Benedicti. Eine Geschichte der Söhne und Töchter Benedikts von Anfängen bis zur Gegenwart, Wien / Köln / Weimar.
Schreibe einen Kommentar