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Daoismus 2

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Yin und Yang

Das heutzutage weltweit verbreitete chinesische Yin-Yang-Symbol zeigt einen S-förmig geteilten Kreis, dessen Hälften schwarz für Yin und weiß für Yang konzipiert sind, mit einem weißen bzw. schwarzen Punkt inmitten des „Kopfes“ der jeweils andersfarbigen Kreishälfte. Seine Popularität ist auf die Anschaulichkeit zurückzuführen, mit welcher die perfekte gegenseitige Ergänzung zweier Gegensätze klar ersichtlich wird (Mittag 2019).

YinYang
Südseite eines FlussesNordseite eines Flusses
Nordseite eines BergesSüdseite eines Berges
Sonnenabgewandte SeiteSonnenzugewandte Seite
Nacht Tag
Schlaf, RuheWachsein, Aktivität
MaterieGeist
Herbst-Winterhälfte des JahresFrühling-und Sommerhälfte des Jahres
StatikDynamik
PassivitätAktivität
Ausbreiten, VergrößernZusammenziehen, Verkleinern
AusatmenEinatmen
KörperinneresKörperoberfläche
KörpervorderseiteKörperrückseite
Das Weibliche Das Männliche
Die weiblichen GeschlechtsteileDie männlichen Geschlechtsteile
Mädchen, FrauJunge, Mann
Die ErdeDer Himmel
Das DunkleDas Helle
Das WeicheDas Harte
KörpersubstanzKörperfunktionen
Bewahren, BehütenDynamisch, Energisch
MondSonne
RuheBewegung
IntuitionLogik
TheoriePraxis
Mütterliche QualitätenVäterliche Qualitäten
PhilosophischWissenschaftlich
ZentrifugalZentripedal
Kälte, KühleHitze, Wärme
EntspannungSpannung
ParasympathikusSympathikus
Sensible NervenMotorische Nerven
(Kalbantner-Wernicke 2005, Mittag 2019, Röllicke 2005)

Das Gegensatzpaar Yin und Yang taucht als philosophisches Konzept zur Bezeichnung des Widerspiels der gegensätzlich gepolten kosmischen Urkräfte, durch welches das Werden und Vergehen in der Welt evoziert wird, das erste Mal im Buch Zhuangzi (4./3.Jh. v.Chr.) auf. In den Jahrhunderten um die Zeitenwende werden Yin und Yang in China zu Schlüsselbegriffen des korrelativen Denkens, das alle Phänomene am Himmel und in der Natur als sowohl mit den Abläufen im Körper und in der Psyche des Menschen als auch mit den Vorgängen in der politischen und sozialen Welt in Verbindung stehend ansieht (Mittag 2019).

Yin und Yang bilden immer binäre komplementäre Paare. Im äußersten Yin liegt bereits der Keim seines Yang verborgen und umgekehrt. Auf dem Höhepunkt des einen beginnt das jeweils andere neu hervorzukommen und seiner Wiederablösung entgegenzugehen (Röllicke 2005). 

Yin und Yang und die Fünf-Phasen Lehre

Die Elemente Holz, Feuer, Metall, Wasser und Erde, aus welchen die ganze Natur aufgebaut ist, charakterisieren gewisse Zustände oder Phasen, bestimmte Vorgänge des Kosmos, die in einer beständigen Wechselbeziehung zueinander stehen: Sie beeinflussen sich gegenseitig und sind in der Lage, sich ineinander umzuwandeln. Aus diesem Grund werden die Fünf Elemente auch (korrekter) die Fünf Wandlungsphasen genannt (Kalbantner-Wernicke et al. 2005).

Die Lehre von Yin und Yang wird mit der Fünf-Phasen-Lehre verbunden. Diese Verbindung gestaltet sich als grundlegend für Diagnostik, Therapie und Pharmakologie der chinesischen Medizin, für Qigong und Taijiquan (Tai Chi), für heilkundlich orientierte Formen der Kochkunst und Diätetik sowie für daoistische Prognostik und Himmelskunde (Röllicke 2005).

Die Lehre von Yin und Yang wird in der chinesischen Medizin erst durch die Lehre der Fünf Elemente lebensnah und  verständlich erweitert: Die Wandlungsphasen Holz, Feuer, Metall, Wasser und Erde weisen eine Verbindung zu den jahreszeitlichen Abläufen in der Natur, zu den Lebensvorgängen selbst und zum Menschen auf. 

Holz

Der Phase Holz entspricht die Jahreszeit Frühling. Sie steht für das Keimende, das sich Entwickelnde, das Wachsende und Aufstrebende. Holz wird die Farbe Grün( wie das junge Laub) zugeordnet. Die positiven Charaktereigenschaften der Menschen mit dem Konstitutionstyp Holz stellen Tatkraft und Kreativität, das Streben nach Höherem sowie die Flexibilität im Denken und Handeln dar. Als klimatischer Faktor wird der Phase Holz der aufbrausende und wechselhafte Wind zugewiesen. Daraus resultieren auch die negativen Charaktereigenschaften Wut, Jähzorn, Aggressivität, Gereiztheit, und Impulsivität. 

Feuer

Die Phase Feuer charakterisiert die Jahreszeit Sommer. Zusammen mit der Farbe Rot steht sie für große Energiemengen, für Hitze und Glut ebenso wie für den emotionalen Bereich der Freude. Menschen mit dem Konstitutionstyp Feuer sprühen sozusagen vor Energie. Sie besitzen die Fähigkeit, andere mit ihrer Freude und Herzlichkeit mitzureißen. Für den Fall, dass sie hier keine Ausgeglichenheit erreichen, können sie schnell nervös und übertrieben hektisch wirken. Bei diesen Leuten ist relativ oft ein erhöhter Blutdruck vorhanden.

Erde

Die Phase Erde verkörpert das Bodenständige, die gereifte Nahrung. Entsprechend wird dieser Phase der Spätsommer in seiner Bedeutung als Erntezeit zugewiesen, also die Zeit, in welcher die Natur ihren Höhepunkt erreicht hat und all ihre Früchte vorzeigt, bevor es wieder zum Rückzug kommt. Zur Erde gehört die Farbe Gelb genauso wie der süße Geschmack. Erde-Menschen sind bodenständig und zuverlässig und verfügen über eine innere Stärke, mit welcher sie gerne andere Menschen umsorgen. An negativen Charaktereigenschaften weisen sie vermehrtes Grübeln, Trägheit und Konzentrationsstörungen auf.

Metall

Die Phase Metall entspricht der Jahreszeit Herbst. Ihre Farbe ist Weiß wie der erste Raureif. Der Geschmack ist scharf. Da es sich beim Herbst in Zentralchina eher um eine trockene Jahreszeit handelt, ordnet man dieser Phase die Trockenheit zu. Menschen mit dem Konstitutionstyp Metall sind sensibel, aufmerksam und introvertiert. Negative Ausprägungen treten in Form von häufig wiederauftretenden Zeiträumen von Traurigkeit und echten Depressionen auf.

Wasser

Die Phase Wasser verkörpert den Winter. Es handelt sich um die Zeit der kurzen Tage und der langen Nächte, die dazugehörige Farbe lautet Schwarz. Während bei den anderen Jahreszeiten Wachstum, Entwicklung und Reifung im Vordergrund stehen, geht es jetzt ausschließlich um das Aufrechterhalten der Lebensfunktionen auf niedrigem Energieniveau, die Ruhepause und die Starre. Wasser-Menschen zeichnen sich durch ihre große Willensstärke und ihr Durchhaltevermögen aus. Bei unausgeglichen Menschen vom Wasser-Typ können Steigerungen bin hin zur Sturheit und Zwanghaftigkeit auftreten. 

Während man Yin eher die Wandlungsphasen Holz und Feuer zuordnet, haben Metall und Wasser eher Yang-Charakter. Die Erde befindet sich als neutrale Phase dazwischen und übt eine ausgleichende Funktion aus. Es besteht die Möglichkeit, jedem dieser Phasen wiederum zahlreiche  andere Zustände, sowohl materieller als auch nichtmaterieller Art, zuzuweisen: Organe, Meridiane(Energieleitbahnen, in denen die Lebensenergie Qi fließt), Akupunkturpunkte, Gewebe, Emotionen, Farben, Geschmacksrichtungen, Nahrungsmittel, Jahreszeiten etc.. 

Damit wird ersichtlich, dass es möglich ist,  nahezu alle Lebensbereiche, alle Naturphänomene mit einem der Fünf Wandlungsphasen in Verbindung zu bringen und darüber auch wieder mit Yin und Yang. Es lässt sich eine Ordnung aufbauen, welche Klarheit und Ruhe verschafft.

Diese Einteilung hat jedoch keinen fixen Zustand zur Folge. Im Gegenteil: Die Wandlungsphasen sind einem andauernden Fluss ausgesetzt, sie befinden sich in dynamischer Beziehung zueinander. Sie erzeugen sich gegenseitig und dämmen sich auch gegenseitig wieder ein, das bedeutet, sie bilden einen harmonischen Kreislauf miteinander. Dabei fördert oder nährt eine Wandlungsphase jeweils die ihr folgende wie eine Mutter ihr Kind nährt. Deshalb wird dies auch Fütterungszyklus (Ernährungszyklus) oder Mutter-Kind-Zyklus genannt: 

  • Holz nährt Feuer
  • Feuer nährt Erde
  • Erde nährt Metall
  • Metall nährt Wasser 
  • Wasser nährt Holz (Kalbantner-Wernicke et al. 2005). 

wuwei und ziran 

Wu wei bedeutet „Nicht-Handeln“ bzw. „Nicht-Eingreifen. Damit ist nicht vollkommene Passivität gemeint, es ist vielmehr ein Handeln, das in Übereinstimmung mit dem Verlauf des Dao abläuft. Es besteht im „Nicht-Eingreifen“  oder einem „absichtslosen“ bzw.  „spontanem Handeln“ , das sich nicht gegen die Natur wendet( Hertzer 2017). 

Ziran, oft mit „spontan“ oder „natürlich“ übersetzt, bedeutet wörtlich „selbst so“, das heißt „von selbst so“ oder „aus sich selbst so“. Nun muss angemerkt werden, dass das, was von selbst oder aus sich selbst so ist, wie es ist, von nichts anderem bedingt oder abhängig ist. Was von nichts anderem abhängig oder bedingt ist, das befindet sich  jenseits von jeglichem Ursache-Wirkung-Zusammenhang und somit auch jenseits von Zeit und Raum.

Es ist nur möglich, sich einem Verständnis von ziran und wuwei  anzunähern. Diese beiden Begriffe nehmen nämlich Bezug auf  die absolute Wahrheit oder Wirklichkeit, welche sich jedem Verständnis entzieht. 

Für den vom Handeln regelrecht besessenen dynamischen und aktiven modernen Menschen, den *die Macher*in, der*die nur allzu leicht in Aktivität ertrinkt, ist ein echtes Nichthandeln geradezu unvorstellbar. „The Show must go on“ oder „es muss etwas geschehen, packen wir es an …“  und dazu muss natürlich immerfort gehandelt werden. Aus diesem Grund geht auch die gängige westliche Erklärung des wuwei davon aus, dass es wohl ein Handeln sei, jedoch kein Handeln, das mit der Bewegung des Dao in Konflikt steht, vielmehr ein Handeln im Einklang oder in Resonanz mit dem natürlichen Fluss der Dinge. 

Im alten China ist aber ausdrücklich von NICHT-Handeln (WUwei) die Rede. Das Nichthandeln ist das, wozu es kommt, wenn man selbst täglich geringer und immer geringer wird … , wenn eine Schale der Zwiebel des konventionellen Ich nach der anderen abfällt, bis letztendlich kein Ich mehr da ist und ausschließlich  die von schöpferischer Kraft überquellende trächtige Leere im Inneren dieses »imaginären Sprosses« – wie der indische Weise Ramana Maharshi das Ich nannte – zurückbleibt.

Wo kein*e Handelnde*r mehr existiert, da gibt es auch kein Handeln mehr. Was zu geschehen hat, das geschieht spontan (ziran), es zeigt sich von selbst und aus sich selbst heraus, direkt  aus der schöpferischen Leere des Dao und dabei bleibt nichts ungetan. Und selbst wenn das, was ziran abläuft, vom Blickwinkel der konventionellen Wahrheit aus betrachtet, eine angemessene Antwort auf die Anforderungen des Augenblicks zu sein scheint, geschieht es doch – und das ist das Paradoxon der jegliches Verstehen überschreitenden absoluten Wahrheit – vollkommen unbedingt.

Die Freiheit, welche das nach spontanem Handeln sich sehnende Ich begehrt, erweist sich als eine  nur imaginäre. Denn alles Handeln, und sei es auch ein Handeln im Einklang mit dem natürlichen Fluss der Dinge, benötigt eine*n Urheber *in, den*die Handelnde*n oder das handelnde Ich, und kann deshalb nicht ziran, von selbst so, sein. Da Handeln stets bedingt und abhängig ist, ist es nicht wirklich frei. Wahre Freiheit taucht nur im Nichthandeln auf, der Freiheit vom Ich oder der Illusion eines*einer Handelnden. Nur hier besteht die Möglichkeit der  echten Spontaneität (Zhuangzi 2008).

Quellen

Hertzer, Dominique (2017), Einführung in den Daoismus, Vorlesung, Georg-August-Universität Göttingen, SoSe 2017. 

Kalbantner-Wernicke, Karin / Müller, Johannes / Tetling, Christiane / Waskowiak, Astrid, Handbuch Reflextherapie. Shiatsu. Akupunkt-Massage nach Penzel. Tuina, Heidelberg. 

Mittag, Achim (2019), Yin-Yang-Symbolik,  in: Jaeger, Friedrich (bis 2019) / Eckert, Georg et al. (Hgg.), Enzyklopädie der Neuzeit Online 15, abgerufen am 02.07.2023, von https://referenceworks.brillonline.com/entries/enzyklopaedie-der-neuzeit/*-COM_385236.

Röllicke, Herrmann-Josef (2005), Yin und Yang. , in: Hans Dieter Betz et al. (Hgg.), Religion und Geschichte und Gegenwart Online4 8, abgerufen am 02.07.2023, von https://referenceworks.brillonline.com/entries/religion-in-geschichte-und-gegenwart/*-SIM_026465.

Zhuangzi (2008), Das Buch der Spontaneität. Über den Nutzen der Nutzlosigkeit und die Kultur der Langsamkeit.Das klassische Buch daoistischer Weisheit. Herausgegeben und aus dem Chinesischen ins Englische übertragen von Victor H. Mair. Aus dem Englischen übersetzt von Stephan Schuhmacher, Aitrang. 

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