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Anna wurde ausgewählt

Anna, Aklla, Weberin, Nebenfrau des Großherzogs, Sonnentempel

„Deine neunjährige Schwester Anna wurde von einem Vertreter der Regierung  ausgewählt, um an der akllawasi („Haus der auserwählten Frauen“) in Religion, Spinnen und Weben, Essenszubereitungen und Chicha-Brauen ausgebildet zu werden “, erklärte Daikoku. 

„Bitte was! Meine Schwester eine aklla („ auserwählte Frau“, Pl.: akllakuna)! Wieso denn das?“, Anastasia völlig fassungslos.  „Es werden stets Mädchen aufgrund ihrer Schönheit, Fähigkeiten und Intelligenz ausgewählt.“ „Ja, ja! Das sagt man immer, aber stimmt das denn wirklich. Ist meine Schwester wirklich intelligenter als ich in ihrem Alter? Da kann man wohl getrost ein großes Fragezeichen hinter setzen. Aber wenn der Vertreter der Regierung das meint, soll Anna diese Ausbildung  meinetwegen machen. „ Wie heißen die Lehrerinnen an der akllawasi doch gleich?“ „ Sie heißen mamakuna. Der akllawasi steht unter deren Obhut. Die mamakuna waren auch alle einmal akllakuna.“ „Und nach der Ausbildung heiratet meine Schwester dann  irgendeinen gut aussehenden Typen aus dem Schloss Feredusa  und bekommt ganz viele Kinder.“

„So ist das nicht. Nach ihrer vierjährigen Ausbildung kann es sein, dass sie aufgrund ihrer  bedeutenden Abstammung und ihrer Schönheit tatsächlich irgendeinen Mann aus dem Schloss Feredusa als Nebenfrau heiratet. Viele Kinder wird sie mit ihm nicht kriegen, eher gar keins. Manche akllakuna heiraten auch einen verdienten Beamten oder Offizier  oder  werden deren Dienerin. Akllakuna haben viele Aufgaben: Sie stellen in den Tempeln Webereien her, welche als Kleidung für die Götter, den Großherzog, die Priester und als Opfergaben bestimmt sind. Des Weiteren stellen sie für die rituelle Opferung große Mengen Chicha und verschiedene Speisen her,  darunter beispielsweise aus  Maismehl geformte Bällchen namens zancu. Diese Speisen werden bei bedeutenden Festen auch an die Teilnehmer verteilt und als Gemeinschaftsmahl verzehrt.“ 

„ Ich habe noch nie an so einem Fest teilgenommen“ „Bald wirst auch du bei so einem Fest dabei sein.“ „ Wieso?“ „Du wirst deine  Schwester nach Mariapolia begleiten.“ „Ich soll mit Anna zusammen in die Hauptstadt des Großherzogtums reisen? Das will ich aber nicht! Ich möchte viel lieber hier im Kloster bleiben.  Wäre nicht meine ältere Schwester Mala eine viel geeignetere Begleitung für Anna?“ 

„Mala kann diese Aufgabe nicht übernehmen. Sie ist verheiratet. „ Weil sie mit Jannis verheiratet ist, bedeutet das doch nicht, dass sie Anna nicht begleiten kann!“ „ Doch. Die meisten akllakuna haben überhaupt keine Begleitperson. Es ist auch meistens gar nicht notwendig. Ein Kutscher holt sie von ihrem Heimatort ab und bringt sie zu ihrem neuen Wohnort die akllawasi. An dieser sind die akllakuna gut versorgt. Manchmal ist es aber doch besser, wenn die aklla eine Begleitperson hat. Diese darf aber laut den Vorschriften der akllawasi nicht verheiratet sein. „Warum braucht denn ausgerechnet Anna eine Begleitperson?“ „Das verrate ich dir jetzt nicht. Deine Schwester und du werdet aber spannende Dinge gemeinsam erleben. 

„Aha, sehr interessant. Ich kann zwar nicht so ganz glauben, dass die Zeit mit meiner Schwester in irgendeiner Weise spannend werden kann, aber wenn eine Gottheit so etwas sagt, muss es ja stimmen. Haben akllakuna  nicht noch mehr Aufgaben?“  „Ja, ein Teil der akllakuna  sind auch am Mumienkult beteiligt.  Manche sind auch als Schreiberinnen tätig. Natürlich ist es auch möglich, dass sie zur mamakuna werden. 

Ein Teil erhält auch ganz besonderes Amt: Sie werden zu „Jungfrauen der Sonne“. Dann leben sie in von der Außenwelt abgeschirmten, ummauerten Häusern, welche von Männern bewacht werden. Sie sind zur Keuschheit verpflichtet und tragen ein weißes Ordensgewand und einen Schleier. Sie assistieren bei religiösen Zeremonien.  Die „Jungfrauen der Sonne“ haben bedeutende  Aufgaben beim Sonnenkult. Sie sind bei allen öffentlichen Opferung für den Sonnengott und deren Frau die Mondgöttin anwesend. Eine besondere Aufgabe stellt das Entfachen und die Betreuung des Opferfeuers im Sonnentempel dar.“ 

„Das hört sich ja alles schon interessant an. Ich muss aber jetzt schlafen. Kann ich auch morgen eine Entscheidung treffen?“ „Liebe Anastasia, die Sache ist bereits entschieden: Ich werde dich jetzt sofort zu Anna bringen. Dort kannst du dann auch schlafen. Morgen wird schließlich ein anstrengender Tag.“ „Jetzt sofort! Wissen meine Eltern, dass ich Anna nach Mariapolia begleiten soll? Wenn dem nämlich nicht so ist und ich wieder bei ihnen auftauche, werden sie mich zu ganz anderen Dingen zwingen.“

Der Vertreter der Regierung war heute Morgen da, um Anna und dich mit der Kutsche bei deinen Eltern abzuholen, aber du ungezogenes Mädchen warst ja nicht da. Der Vertreter war ziemlich verärgert darüber: „Das kann ja wohl nicht wahr sein. Sorgen sie verehrter Herr und verehrte Dame gefälligst dafür, dass ihre Tochter Anastasia wieder hier auftaucht. Anna ist dazu bestimmt, an der akllawasi unterrichtet zu werden, aber sie braucht eine unverheiratete Begleitperson. An diesem Entschluss kann nichts verändert werden. Morgen um dieselbe ist Anastasia da, sonst passiert was! Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?“ Nach dieser Ansage verschwand der Vertreter wieder. Keiner aus deiner Familie weiß, wo du steckst. Da entschied ich mich die Sache in die Hand zu nehmen.“ 

„Wenn ich also jetzt nicht mitkomme, wird meiner Familie etwas Schreckliches angetan?“ „Geh da mal fest von aus. Also Vamos!“ In Nullkommanichts lag Anna im elterlichen Haus in ihrem Bett und schlief.

Am Morgen läutete es an der Haustür. Anna öffnete die Tür, vor welcher derselbe Vertreter der Regierung  wie am vorherigen Tag stand. Er begrüßte Anastasias Schwester: „Guten Morgen Anna! Ich hoffe, dir geht es gut und ich kann dich und deine Schwester gleich mitnehmen.“  

Anna grinste und wollte gerade ansetzen, da stand auch schon ihre ältere Schwester Mala neben ihr und versuchte sich zu entschuldigen: „ Lieber Vertreter, wir haben Gott und die Welt in Bewegung versetzt, aber leider konnten wir Anastasia nicht finden. Kann nicht meine Schwester Anna wie die meisten anderen Akllakuna auch ohne Begleitperson mit Ihnen mitkommen. In der akllawasi ist sie meines Wissens nach doch gut aufgehoben“ „ Ich sage es jetzt noch ein letztes Mal: Anna muss eine unverheiratete Person begleiteten. Heute sollte diese Begleitperson da sein. Was machen wir denn jetzt?“

 „ Unser Bruder Heinrich könnte sie begleiten“, meinte Mala. Da lachte der Vertreter: „Ein Junge in einer akllawasi! Hat man so etwas schon mal gehört?“ „Heinrich soll doch nicht in der akllawasi wohnen und zur aklla ausgebildet werden.“ „Heinrich müsste die akllawasi aber betreten dürfen und das ist – wie eigentlich allgemein bekannt sein sollte – nur dem weiblichen Geschlecht gestattet.“ „Ja dann weiß ich jetzt auch nicht weiter“ „Ich aber schon. Wo sind denn eure Eltern? Die werde ich nämlich jetzt erstmal mitnehmen. Mal schauen, auf welche Weise der Großherzog sie bestrafen wird.“

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Herzliche Grüße von Viridis Verde 2023