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Daoismus 1

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Der aus dem 19.Jahrhundert stammende Begriff Taoismus bzw. nach der heutigen Pinyin-Umschrift Daoismus weist zwei Bedeutungen auf: Einerseits bezeichnet er die mit dem Weltweisen Laotse / Laozi verbundene und nach dem Dao / Tao benannte philosophische Lehre, zu welcher als spezifische Unterscheidung zu anderen philosophischen Traditionen des antiken China ( 5.-3. Jh. v. Chr.) die beiden Konzepte der komplementären Urkräfte Yin und Yang sowie des „Nicht-Handeln“ (wuwei) des Herrschers hinzukommen. Andererseits meint Daoismus neben Konfuzianismus und Buddhismus die dritte große Religion des vormodernen  China (Jülch / Mittag 2019).

Dao, Yin und Yang und Laozi

Laozi und das Daodejing

Über das Leben des Laozi („Alter Meister“) ist praktisch nichts bekannt. Nur die Zeit seines Lebens kann ungefähr angeben werden, weil mehrere, voneinander unabhängige Bemerkungen in der Literatur übereinstimmend berichten, dass er ein Zeitgenosse des Konfuzius gewesen ist und somit um 500 v. Chr. gelebt hat. 

Das Laozi zugeschriebene Buch Daodejing, welches seinen Titel während der Han-Zeit 206 v. Chr. – 220 n. Chr. zuerkannt bekommt,  ist auch lange strittig diskutiert worden. Bekannt ist die Erzählung von seinem Entstehen: Laozi beabsichtigte, China zu verlassen. Dabei gelangte er, auf einem Ochsen reitend, an einen Grenzpass. Der Grenzwächter hielt ihn an und bat ihn um eine schriftliche Wiedergabe seiner Lehren. Daraufhin fertigte Laozi ein Werk von 5000 Worten an, übergab es dem Wächter und zog mit seinem Ochsen von dannen. Niemand weiß etwas über seinen Verbleib und sein Ende.

Das Daodejing ist in 81 Sprüche eingeteilt. Nach den Worten in Spruch 1 zu Beginn wird der erste Teil von 37 Sprüchen dem Dao zugerechnet, der zweite Teil dem De. Diese Zweiteilung ist alt, jedoch wird sie nicht ganz konsequent durchgeführt. So findet man in beiden Teilen Sprüche, welche jeweils dem anderen Teil zuzuordnen sind. Die Unterteilung in 81 Sprüche führt ein Bibliothekar des Kaiserhauses um die Zeitenwende durch. Die Zahl 81= 9 * 9 weist im chinesischen Yin / Yang-System eine besondere Bedeutung auf. 

Zentrale Themen des ganzen Werkes stellen Begriff und Wesen des Dao dar; das De ist etwas geringer gewichtet. Daneben enthält es Sprüche über Staatslehre, Militär und allgemeine Weisheiten. 

Chinesische schriftliche Texte sind aufgrund der Eigenheiten der chinesischen Sprache mehrdeutig. Während sich bei längeren Texten der beabsichtigte Sinn wohl stets aus dem Zusammenhang erschließen lässt, sind bei kurzen Sprüchen oft mehrere gleichrangige Deutungen möglich.  Dadurch besteht für Kommentator*innen und Übersetzer*innen die Option, dem Text unterschiedliche Bedeutungen – unbewusst oder bewusst – zu verleihen, z.B. kann dem Daodejing eine rein philosophische Auslegung oder eine die Mystik in den Vordergrund stellende Fassung gegeben werden. 

Das Dao

Dao ist ein zentraler Begriff der chinesischen Philosophie und Religion (Reiter 1999). Das Wort „Dao“ bedeutet ursprünglich Weg, Richtung, auch Verhalten des Menschen in der Gemeinschaft. Gleich im 1.Spruch des Daodejing wird es allerdings umdefiniert. Gemäß dem Daodejing ist das Dao  mit dem Namenlosen identisch. Des Weiteren handelt es sich bei dem Namenlosen ebenso um das Nicht-Sein. Dao, Namenloses und Nicht-Sein stellen somit Benennungen für ein und denselben transzendenten Begriff dar. Zudem ist das Dao unveränderlich im Unterschied zu den materiellen Dingen der Sinnenwelt, welche sich immerzu verändern. 

Bei dem Dao handelt es sich um ein unbeschreibbares, transzendentes Etwas, jedoch nicht um einen transzendenten Gott. Es ist dem menschlichen Verstand nicht zugänglich. Das Wesen des Dao bleibt dem Menschen verschlossen. Es ist ewig und umfasst in sich alle Gegensätze ( groß – klein u.a.). 

Das Dao durchdringt alles und wirkt durch das De auf den Menschen ein.  Im Vergleich zum Dao kommt dem De im Daodejing ein deutlich geringerer Stellenwert zu. Das De findet meist zusammen mit dem schöpferischen Dao Erwähnung, dessen wirksame Kraft es ist (Bock 2011).

Von der Grundbedeutung „Weg“  ausgehend erhält Dao bei Konfuzius die Bedeutungen „rechter Weg“ und „Ordnung“. Als Weg oder Ordnung des Universums wird das Dao im literarischen Daoismus zum abstrakten, weder zeitlich, räumlich noch persönlich definierten Basisbegriff. Das Daodejing schildert ihn als Inbegriff für Urgrund und Sein aller Wesenheiten und ihrer natürlichen Übereinstimmung. 

Im religiösen Daoismus wird Laozi seit dem 2.Jh. n.Chr. als Verkörperung des Dao unter dem Namen Lord Lao und Himmelsehrwürdiger des Dao und des De verehrt.  Allerdings treten Laozi und das Dao niemals als  Schöpfer- oder Obergott auf. 

In der chinesischen Philosophie blieb der abstrakte Begriff entscheidend, welcher im Neokonfuzianismus im Sinne von „Urprinzip“ der phänomenalen Welt ausgelegt wurde (Reiter 1999).

Daoistische Mystik

Die daoistische Mystik verfolgt das Ziel der Einheit mit dem Dao im Zustand der Unsterblichkeit. Unsterblichkeit weist dabei zwei Bedeutungen auf:

  1. In dieser Welt Erreichen von geistiger Ruhe, innerer Freiheit und spiritueller Weisheit
  2. Im Himmel die Residenz unter den Göttern und Übernahme einer ewigen Beamtenstellung.

In beiden Fällen ist das Individuum als persönliche Einheit aufgelöst und wird in Körper und Geist zum verwirklichten Kosmos und somit so unsterblich wie Himmel und Erde. Es gibt zweierlei Möglichkeiten, Unsterblichkeit zu erlangen: ekstatisch und enstatisch.

Der ekstatische Weg stellt die psychologische Dimension heraus, findet Ausdruck in schamanistischen Metaphern des Fliegens und sieht den mystischen Prozess als Leichter- und Hellerwerden an. Der enstatische orientiert sich mehr am Körperlichen, arbeitet mit Metaphern von Fülle, Stabilität und Ruhe und hebt das Einswerden und Verschmelzen mit Dunkelheit und dem Unbewussten hervor. 

Bei einer historischen Betrachtung der daoistischen Mystik lassen sich 5 Stufen ausmachen:

  1. Tradition des Daodejing (ca. 400 v.Chr.)
  2. Text des Zhuangzi ( ca. 300 v. Chr.) und seiner Nachfolger
  3. Texte der „Schule der höchsten Reinheit“  (4. Jh. n. Chr.)
  4. Verbindung der ersten drei Grundformen mit dem Buddhismus (8. Jh.)
  5. Entwicklung in der „Inneren Alchemie“ (neidan) (11.Jh.) (Kohn 2005).

Quellen

Bock, Eleonore (2011), Die Mystik in den Religionen der Welt, E-Book-Ausgabe, Münster.

Kohn, Livia (2005), Mystik. VIII. Daoistische Mystik, in: Hans Dieter Betz et al. (Hgg.), Religion und Geschichte und Gegenwart Online4 5, abgerufen am 30.06.2023, von https://referenceworks.brillonline.com/entries/religion-in-geschichte-und-gegenwart/mystik-COM_14664?s.num=0&s.rows=50&s.f.s2_parent=s.f.book.religion-in-geschichte-und-gegenwart&s.q=mystik#d60221629e1602.

Jülch, Thomas / Mittag, Achim (2019), Taoismus. 1.Begriff, in: Jaeger, Friedrich (bis 2019) / Eckert, Georg et al. (Hgg.), Enzyklopädie der Neuzeit Online 13, abgerufen am 30.06.2023, von https://referenceworks.brillonline.com/entries/enzyklopaedie-der-neuzeit/taoismus-COM_362675.

Reiter, Florian C. (1999), Dao, in: Religion und Geschichte und Gegenwart Online4 2, abgerufen am 29.06.2023, von https://referenceworks.brillonline.com/entries/religion-in-geschichte-und-gegenwart/dao-SIM_03396.

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Eine Antwort zu „Daoismus 1“

  1. Avatar von Gabriela
    Gabriela

    Wird denn im heutigen China der Daoismus überhaupt noch gelebt? Findet er überhaupt noch irgendwo Anwendung ? Wenn von den Weltreligionen gesprochen wird findet der Daoismus kaum bzw. keine Beachtung.
    Gut gewähltes Bild zum Thema.

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